England

Familiäre Verbindungen waren ausschlaggebend dafür, Großbritannien als nächstes Ziel der Emigration zu wählen: 1937 zogen Richard Ziegler und Edith Lendt nach Wembley, dann nach South Croydon – heute Stadtteile Londons. 1938 wurde geheiratet, 1939 kam Tochter Cornelia zur Welt. Weitere Stationen in England waren Cambridge und Horsham/Sussex.

Als Porträtmaler und mit Illustrationsaufträgen überlebte Ziegler in England Weltkrieg, deutsche Bomben auf London, Internierung und Nachkriegszeit. Er zeichnete politische Karikaturen für verschiedene Exil-Zeitschriften, Politikerporträts für Tageszeitungen und lieferte regelmäßig Beiträge für das Magazin „Lilliput“. Neben dem Buch „We Make History“ erschienen weitere Bücher, zu denen er Illustrationen beisteuerte.
Zieglers eigentliches Interesse aber galt der Auseinandersetzung mit
Themen aus der griechischer Mythologie und der Bibel in Zeichnung und Malerei.
Auf dem historischen Boden Siziliens hatte er bereits davon geträumt.

Porträtaufträge

Richard Zieglers außerordentliches Talent als Porträtmaler fand in Croydon schnell Beachtung. Innerhalb weniger Jahre schuf er 18 Ölbildnisse, darunter einige von hochgestellten Persönlichkeiten der Region. So porträtierte er 1938 für die St. Michael’s Bach Society Croydon deren Musikdirektor, den Komponisten und Organisten George Oldroyd, und für das Rathaus der Stadt den Bischof Anderson. 1939 entstand das Porträt der Witwe von Feldmarschall Archibald Montgomery Massingberd. Ein posthumes Porträt des berühmten Komponisten Edward Elgar, das Ziegler für dessen Tochter nach Fotoaufnahmen malen sollte, kam wegen des Kriegsausbruchs nicht zur Ausführung.

Internierung

1940 beschloss die britische Regierung, alle männlichen Emigranten aus Deutschland und Österreich als „feindliche Ausländer“ zu internieren – auch nach Großbritannien geflüchtete Juden und deutsche Gegner des NS-Regimes fanden sich in Internierungslagern wieder. Richard Ziegler musste vom 27. Juni bis 28. September 1940 im Lager Huyton bei Liverpool verbringen. Zu seiner vergleichsweise frühen Entlassung trug das Erscheinen seines Buches „We Make History“ im Londoner Verlag Allen & Unwin bei, das seine Gegnerschaft zum Nazi-Regime für jeden offensichtlich machte. Zu den ebenfalls Internierten, mit denen Ziegler in Huyton Freundschaft schloss, gehörten der Dichter Felix Braun, der Philosoph Ernst Hugo Fischer und der Ausdruckstänzer Kurt Jooss.

Politische Zeichnungen

Während des Krieges arbeitete Richard Ziegler als ausgewählter „war artist“ für das britische Ministry of Information und das American War Office of Information. Verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften lieferte er politische Karikaturen, für das deutschsprachige Exilblatt ,Die Zeitung’ schuf er „vor allem zahlreiche Porträts von Politikern und Militärs der am Krieg beteiligten Nationen. Ob er die Köpfe von Nazigrößen, Sowjets oder von herausragenden Vertretern der alliierten Seite wie Roosevelt, Churchill und Montgomery zeichnete, Feder und Stift wurden in seiner Hand zu Sezierinstrumenten und die vom ihm Porträtierten zu ,Gezeichneten’“ (Rosamunde Neugebauer). Im Londoner Verlag Dennis Dobson erschien 1946 ein Büchlein mit einer Auswahl dieser Porträts unter dem Titel „Faces behind the News“. Von Ziegler gezeichnete Porträts erschienen noch in den 1950er-Jahren in angesehenen Zeitungen wie ,The Economist’, ,The Observer’ and ,New Scientist’.

Lilliput

Mehrere Jahre lang lieferte Richard Ziegler Beiträge für das 1937 gegründete Magazin „Lilliput“, für das auch andere aus Deutschland emigrierte Künstler arbeiteten. Die Titelbilder für jedes Heft schuf Walter Trier, deutschen Lesern heute noch durch seine Illustrationen zu Erich Kästners Kinderbüchern bekannt. Ziegler illustrierte Artikel und Kurzgeschichten, aber auch Bildfolgen mit eigenen Texten wurden von ihm veröffentlicht – zum Beispiel zu den Themen „An Artist’s Notes on Fashion“, „Attitude and Posture“, „The Lady Enters“ und „The Trouser and the Skirt“.

Ölgemälde aus den 1940er- und 1950er-Jahren

Die Themen seiner Ölbilder, mit denen Richard Ziegler in den 1940er- und 1950er-Jahren trotz schwieriger räumlicher und zeitlicher Bedingungen sein malerisches Werk weiterführte, entnahm er der Bibel und der griechischen Mythologie.
So malte er einerseits Kreuztragung, Kreuzigung und Kreuzabnahme, andererseits bacchanalische Szenen und Amazonenschlachten. Seine Tochter Cornelia Ziegler erinnert sich: „Im Parterre des Hauses hatte er eine große Leinwand gespannt und eine Amazonenschlacht gemalt. Meine Mutter ist als sterbende Amazone in den Armen eines Soldaten (Richard?) abgebildet, was ich erst sehr viel später erkannt habe. Hatte Vater in diesem Werk die bevorstehende Trennung von Edith verarbeitet?“
Richard Ziegler konnte dieses ihm besonders wichtige Werk über die Wirren von Krieg und Exil retten – auf bis heute ungeklärte Weise wurde es in den 1970er-Jahren aus der Werkstatt eines Bilderrahmenmachers gestohlen.

Hesse und Ziegler

Hilfe durch Hermann Hesse

Richard Ziegler hatte bei früheren Besuchen in Calw auch die Familie Schiler kennengelernt, die in der Nachbarschaft seines Cousins Erwin Weber wohnte. Die Musikerin Fanny Schiler-Gundert (1890–1979) war eine Cousine des Dichters Hermann Hesse (1877–1962).
Der in Calw geborene Hesse war schon seit 1912 in der Schweiz ansässig. Fanny Schiler stellte 1939 den Kontakt zwischen dem Dichter und dem Künstler im englischen Exil her. Hesse ermöglichte es, dass über seine Adresse während des Zweiten Weltkriegs Postsendungen Zieglers nach Deutschland gelangten oder von dort nach England. Der direkte Postverkehr zwischen den Kriegsgegnern war nicht möglich. „… vorläufig bin ich noch in steter Verbindung und besorge gern, was Sie mir etwa senden …“, bot Hesse am 28. September 1939 an. „Wenn ich Sie auch nicht kenne: Meine Base Fanny hat mir von Ihnen erzählt, ich weiß einiges über Ihre Art und Gesinnung, und ich besitze seit 1937 die Zeichnung, die Sie vom Gärtchen und von der Veranda meines Vaterhauses gemacht haben. Dazu kam dann noch die Ueberraschung, daß Sie mit Felix Braun befreundet sind, der mit mir seit Jahrzehnten in kollegialer und andrer Sympathie verbunden ist. So nenne auch ich Sie gern meinen Freund.“ Zwischen Hesse und Ziegler begann darüber hinaus ein herzlich gehaltener Briefwechsel, der gelegentlich vom Austausch von Arbeitsproben begleitet war. „Oft schreibt Richard Ziegler, und einmal kam auch von seiner Frau ein sehr lieber Brief“, berichtete Hermann Hesse 1946 an Fanny Schiler.
Ende 1948 begegnete Ziegler, wiederum durch Vermittlung von Fanny Schiler, dem Dichter auch persönlich in Baden in der Schweiz, wo dieser sich zur Kur aufhielt. In seinem Tagebuch notierte Richard Ziegler: „Wir haben uns also endlich von Angesicht zu Angesicht gesehen, und ich glaube, er hat mich lieb gewonnen. Ich fühle mich ihm menschlich nahe, als hätte ich ihn schon immer gekannt. Wie wohl tat mir sein klares Denken und seine überlegene Ruhe, in Geist und Geste – und wie jung er doch ist.“

1950 schuf Ziegler dieses Porträt von Hermann Hesse in Wachsdrucktechnik.

Die erhaltenen Briefe des Dichters an Richard Ziegler gehören heute zur Hesse-Sammlung im Pfeifer Archiv der Sparkasse Pforzheim Calw. Zieglers Briefe an Hesse liegen im Schweizerischen Literaturarchiv Bern.

Hohe Messe

Richard Ziegler liebte die Musik von Johann Sebastian Bach, dessen Suiten für Violoncello er als Schüler auf seinem wertvollen Caspari-Cello selbst gespielt hatte. Bei einem Besuch in Deutschland 1954 überraschte ihn sein Cousin Erwin Weber in dessen Calwer Haus mit der Schallplattenaufnahme von Bachs h-moll-Messe, die auch unter dem Namen „Hohe Messe“ bekannt ist. Direkt unter dem Eindruck der laufenden Musik schuf Ziegler die rund ein Dutzend Motive für den Monotypie-Zyklus „Hohe Messe“.